Heute begrüßen wir Kathrin Auer auf unserem Hot Seat. Mit Ihr sprechen wir über das Thema Lebensmittelverschwendung, ihre aktuelle Umfrage über die Nutzungsmöglichkeiten von Reststoffen und über langfristige Lösungen.
Frau Auer, Sie promovieren gerade berufsbegleitend zum Thema Lebensmittelverschwendung. Wie kam es dazu, dass Sie sich mit diesem Thema beschäftigen und was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
Ich hatte Glück, dass meine Doktormutter, Frau Prof. Dr. Helen Rogers von der Technischen Hochschule Nürnberg ähnliche fachliche Schwerpunkte und Interessensgebiete hat wie ich. Wir beide kommen aus dem Bereich International Management/ Supply Chain Management und sie hat bereits einige Arbeiten zu neuartigen Food Supply Chains bzw. Novel Proteins, beispielsweise auch zum Lebensmittel- 3D-Druck, veröffentlicht. Wir waren uns sehr schnell über das Thema der Arbeit einig.
Ich verfasse eine Monographie, in der es grob gesagt um innovative Geschäftsmodelle und Logistikkonzepte zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung geht. Das Thema geht auch stark in Richtung Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie. Derzeit arbeite ich an meinen ersten Veröffentlichungen. Die erste Arbeit handelt vom Geschäftspotenzial aus organischen Abfällen im deutschsprachigen Raum (DACH-Raum). Hier konnten wir bereits über 1.000 Unternehmen befragen, über welche Abfall-Potenziale oder -Bedarfe sie verfügen. In einem weiteren Schritt versuchen wir, mit diesen Informationen neue (Lebensmittel-)Wertschöpfungsketten entstehen zu lassen. Für die zweite Veröffentlichung untersuche ich Unternehmen, deren Geschäftsmodell es ist, Lebensmittel zu retten. Was dabei sehr spannend ist, ist die Tatsache, dass es sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle und Logistikkonzepte gibt, um das selbe Ziel zu verfolgen. Meine Informationen sammle ich in Form von groß angelegten Umfragen und Tiefeninterviews. Und auch wenn ich noch am Anfang meiner Arbeit bin, so kann ich bereits sehen, dass es hier spannende Ergebnisse geben wird. Generell ist die Arbeit in diesem Bereich sehr vielschichtig und ich lerne jeden Tag neue faszinierende Facetten des Themas kennen.
Aktuell machen Sie eine Umfrage zur Lebensmittelverschwendung/Reststoffen in Bayern (Interessierte können gerne die Umfragelinks unter kathrin.auer@th-deg.de erfragen), der sich an alle Abschnitte der Wertschöpfungskette richtet (von Landwirten zu Lebensmittelverarbeitern, Händlern, Logistikern und Restaurants/Hotels). Was erhoffen Sie sich von dieser Umfrage und was werden Sie mit den ermittelten Daten machen?
Die Umfrage ist innerhalb der B2B- Lebensmittelwertschöpfungskette sehr breit angelegt. Wir erhoffen uns dadurch, einen guten Überblick über real anfallende Stoffarten, Qualitäten und Quantitäten zu erhalten. Was machen die Unternehmen bisher mit den Abfällen? Verdienen sie bereits Geld damit oder müssen sie sogar für die Entsorgung bezahlen? Auch stellt sich die Frage, welche Teile der Lebensmittelwertschöpfungskette besonders geeignete Rohstofflieferanten beispielsweise für die Bioökonomie sind. Oder auch, ob den Marktakteuren generell das Geschäftspotenzial ihrer “Abfall”- Stoffe bekannt ist. Grundsätzlich geht es darum, zu identifizieren, wo (ungeschöpfte) Potenziale sowohl auf Lieferanten- als auch Kundenseite liegen und wie wir die Akteure miteinander bekannt machen können. Bisher sind bereits erste spannende Kooperationen und Anknüpfungspunkte entstanden. So suchen Vlieshersteller und Automobilhersteller natürliche Fasern, und wir wissen, wer diese übrig hat. Wer könnte gemahlene Nussschalen gebrauchen oder welche Einsatzzwecke gibt es für tonnenweise Hefezellwände?
Welche Möglichkeiten sehen Sie, um langfristig der Verschwendung von Lebensmitteln aber auch sinnvoller Verwendung von Restoffen begegnen zu können?
Dieses Thema ist sehr komplex, was auch unsere Umfrage wieder gezeigt hat. So können Abfälle, Neben- und Reststoffe oder auch Überproduktion durch sehr viele Faktoren wie fehlende technische Unterstützung und Heuristiken, Kundenverhalten und -erwartungen, Witterungseinflüsse, volatile Märkte, mangelhafte Kommunikation, Saisonalität, Preisschwankungen, Gesetze und Regelungen wie das Mindesthaltbarkeitsdatum, Normen, Überproduktion und viele weitere Punkte entstehen. Genau so vielfältig sind auch mögliche Lösungen, die im Idealfall zusammen dazu beitragen, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. In manchen Fällen liegt es wie bei Nuss- oder Eierschalen auch in der Natur der Dinge, dass die natürliche Produktverpackung nach Konsum nicht mehr benötigt wird. Dies ist beispielsweise in der Natur kein Problem, oftmals werden derartige “Abfälle” einfach wieder in den Boden eingearbeitet. Die Natur ist das ideale Vorbild für Kreislaufwirtschaft. In unserer industrialisierten Welt sieht das Thema jedoch bereits wieder anders aus, hier können intelligentere (softwareunterstützte) Mengenplanung, eine bessere Kommunikation sowohl mit Kunden als auch Geschäftspartnern, aber vor allem den Themenfeldern Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie, also die stoffliche Verwertung bzw. Weiterverarbeitung von biologischen Reststoffen zu Biokunststoffen, Kleidung oder anderen (industriell verwertbaren) Gütern rechne ich für die Zukunft große Chancen aus. Organische Reststoffe verfügen über viel Potenzial, zukünftig unter anderem einen Teil der erdölbasierten Rohstoffe zu ersetzen.
Kathrin Auer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Fakultätskoordinatorin an der Technischen Hochschule (TH) Deggendorf. Sie hat International Management (B.A.) und Supply Chain Management (M.A.) in Deggendorf, Nürnberg, Hof und Incheon (Südkorea) studiert und promoviert derzeit berufsbegleitend an der TH Nürnberg und der Universität Bamberg (Doktorvater Prof. Dr. Björn Ivens) zu Geschäftsmodellen und Logistikkonzepten zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung.