Hot Seat: Arne Roth | Fraunhofer IGB Straubing

Datum: 25 Jan, 2024

Im ersten Hot Seat von 2024 erläutert uns Dr. Arne Roth, Leiter der Abteilung “Nachhaltige katalytische Prozesse” am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Straubing, was sich hinter dem Konzept „Power-to-X-to-Y“ verbirgt und beschreibt, wie damit die industrielle Landschaft transformiert werden kann, indem man CO2 durch die Nutzung erneuerbarer Energien in wertvolle Produkte umwandelt.


Herr Dr. Roth, die grüne Transformation, sprich die Abkehr von fossilen Ressourcen zur Energiegewinnung und als Rohstoff für chemische Produkte und moderne Werkstoffe, stellt die Industrie vor große Herausforderungen, gleichzeitig birgt sie große Chancen. Eine Möglichkeit, fossile Rohstoffe zu ersetzen, ist die Nutzung von Biomasse.
Im Bereich „Nachhaltige katalytische Prozesse“ am Fraunhofer IGB Straubing arbeitet ihr an Prozessen zur Nutzbarmachung alternativer Rohstoffe. Um welche Rohstoffe handelt es sich?

Unser Rohstoff ist Kohlenstoffdioxid, also CO2. Im Grunde basieren alle erneuerbaren Wertschöpfungszyklen, in denen kohlenstoffhaltige Materialien vorkommen, auf der Nutzung von CO2. Das liegt daran, dass CO2 im Kohlenstoffkreislauf den ultimativen Endpunkt und damit auch Ausgangspunkt darstellt. Meistens ist es so, dass CO2 durch Photosynthese in pflanzliche Biomasse umgewandelt wird. Diese findet heute bereits auf vielfältige Weise Verwendung, um chemische Produkte, nachhaltigere Kraftstoffe usw. herzustellen.

In unserem Team nutzen wir CO2 jedoch, indem wir es auf technischem Wege aktivieren und in energiereiche und chemisch interessante Verbindungen umsetzen, also unter Umgehung der natürlichen Photosynthese. Wir tun dies, indem wir das CO2 thermokatalytisch mit Wasserstoff umsetzen, der zum Beispiel über die Elektrolyse von Wasser gewonnen wird. Das Produkt dieser Umsetzung ist dann Methanol, eine wahnsinnig vielfältige Plattformchemikalie. Ich denke, dass Methanol in Zukunft eine ganz zentrale Rolle in der fossilfreien Herstellung all der vielen Produkte und Materialien zukommen wird, die die Industrie und wir als Konsumenten für unser tägliches Leben brauchen.

Der Prozess gehört also zu den sogenannten Power-to-X Verfahren. Auf der Webseite des Instituts sprecht ihr jedoch von „Power-to-X-to-Y“. Wie unterscheiden sich beide Prozesse und welche Vorteile bringt der neue Ansatz mit sich?

Power-to-X-to-Y ist eine Erweiterung von Power-to-X. Unter dem Begriff Power-to-X werden Verfahren verstanden, bei denen in der Prozesskette elektrische Energie genutzt wird, um eine chemische Reaktion anzutreiben. Im Prinzip wird Strom als Reduktionsmittel genutzt, um verschiedene energiereiche Produkte zu erhalten. Das Produkt kann Wasserstoff sein, wie bei der Elektrolyse von Wasser, oder auch Kohlenstoffmonoxid oder Ethen, wie bei der elektrokatalytischen Reduktion von CO2. Oftmals schließt sich noch ein chemischer Konversionsschritt an, etwa die Synthese von Methanol oder Methan aus Wasserstoff und CO2 oder von Ammoniak aus Wasserstoff und Stickstoff. Das „X“ in Power-to-X steht also für energiereiche Zwischenprodukte wie z.B. Wasserstoff, Methanol, Ethen oder Ammoniak.

Die chemische Industrie benötigt jedoch ein viel größeres Produktspektrum, mit zumeist wesentlich komplexeren chemischen Produkten. Diese sollten in Zukunft alle auf Basis erneuerbarer Rohstoffe synthetisiert werden, was angesichts der großen Marktvolumina nicht allein aus biogenen Rohstoffen zu bewerkstelligen ist.

Hier kommt das Power-to-X-to-Y Konzept ins Spiel: Power-to-X Verfahren sind prinzipiell nachhaltig und skalierbar, weil sie nur von erneuerbarer Energie, CO2 und Wasser als Rohstoffe abhängen. An diese Verfahren knüpfen wir nun mit weiteren katalytischen und biotechnologischen Prozessen an, um aus dem „X“ ein möglichst breites Spektrum aus wertvollen Produkten „Y“ zu erhalten.

Ein praktisches Beispiel: Aus elektrolytisch erzeugtem Wasserstoff und CO2 wird Methanol hergestellt – in diesem Fall ist Methanol das „X“. Dieses Methanol wird nun zur biotechnologischen Produktion von Glycolsäure genutzt, einem vielversprechenden Baustein in der Herstellung anspruchsvoller Polymere und Materialien. Dazu werden spezielle Bakterien genutzt, die durch Fermentation Methanol in Glycolsäure umwandeln. Alternativ kann das Methanol thermokatalytisch auch zu hochwertigen Flugkraftstoffen umgesetzt werden. Beide Wege treiben wir mit unserer Forschung voran.

Welche Vorteile bietet dieser Ansatz im Vergleich zu konventionellen Verfahren sowie Prozessen, die fossile durch biogene Rohstoffe ersetzen?

Der Vorteil gegenüber fossilen Verfahren liegt auf der Hand: Wir arbeiten auf erneuerbarer Stoff- und Energiebasis und bringen so keinen neuen fossilen Kohlenstoff in den aktiven Kreislauf. Der Vergleich mit biogenen Nutzungskaskaden wird von den Unterschieden der Rohstoffströme bestimmt. Auch wenn im Bereich von Rest- und Abfallstoffen erhebliches ungenutztes Potenzial besteht, biogene Rohstoffe sind in ihrer Verfügbarkeit begrenzt. Und Reststoffe werden oftmals schon anderweitig genutzt. Hier liegen die Stärken von Power-to-X-to-Y, denn es benötigt eben keine biogenen Roh- oder Reststoffe. Erneuerbare Energie und CO2 sind grundsätzlich in großen Mengen verfügbar, und der spezifische Wasserverbrauch ist bei diesen Ansätzen vergleichsweise gering.

Beide Ansätze, die Nutzung von Biomasse und von CO2, können auch sehr gut und gewinnbringend miteinander kombiniert werden: CO2 entsteht zum Beispiel in vielen Fermentations- und Verbrennungsprozessen. Gleichzeitig wird Wasserstoff in vielen Prozessen zur Umsetzung von Biomasse benötigt. Denkbar ist also eine erweiterte Bioraffinerie, in die Power-to-X-to-Y Verfahren integriert werden.

Für welche Unternehmen ist „Power-to-X-to-Y“ als Verfahren interessant und welche Produkte können auf diese Weise hergestellt werden?

Diese Verfahren sind grundsätzlich für die gesamte chemische Industrie interessant, die langfristig alle Produktionsketten auf erneuerbare Rohstoffe umstellen muss. Unser Hauptfokus liegt auf Plattformchemikalien, Kraftstoffen und Polymerbausteinen als Zielprodukte. Wir richten uns damit sowohl an die Nutzer dieser Produkte also auch an die Produzenten.

Ganz wichtige Stakeholder sind Unternehmen, die CO2 produzieren, die also Prozesse betreiben, in denen CO2 in konzentrierter Form freigesetzt wird. Dieses CO2 ist eben nicht nur ein klimaschädliches Abgas. Wir müssen es als wichtigen Rohstoff begreifen, den wir einer erneuten Wertschöpfung zuführen können. Nur so können wir es schaffen, dass kein weiterer Kohlenstoff aus fossilen Quellen in den aktiven Kreislauf eingebracht wird.

Auf diese Weise werden auch neue Verbindungen zwischen Sektoren geknüpft: CO2 Emittenten wie etwa Zementwerke werden zu Rohstofflieferanten für die chemische Industrie! Genau hier wollen wir ansetzen: Wir wollen mit CO2-Emittenten zusammenarbeiten und deren CO2 in der Entwicklung neuer Power-to-X-to-Y-Prozesse einsetzen. Dazu kommt noch der Energiesektor, denn wir brauchen natürlich auch erneuerbare Energie zur Wasserstoffproduktion.

Wie weit sind diese Prozesse noch von einer kommerziellen Anwendung entfernt?

Das ist unterschiedlich. Die Synthese von Methanol aus CO2 ist bereits industriell entwickelt. Andere Ansätze, wie die Elektrosynthese von Ethylen und Ameisensäure aus CO2, ist noch nicht so weit. Die biotechnologische Nutzung von CO2 entwickelt sich rasch in verschiedene Richtungen, aber es gibt noch kaum industrielle Anwendungen. Spannend wird es, wenn man diese Ansätze miteinander verknüpft. Es ist oft so, dass einzelne Prozesstechnologien schon recht weit entwickelt sind, sich aber bei der Kombination und Integration dieser Prozesse neue Fragen ergeben, für die technische Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden müssen. Das ist genau unsere Aufgabenstellung als Fraunhofer-Institut.

Ihr bringt eure Expertise in verschiedene Entwicklungsprojekte ein. Welche Kooperationen sind nach eurer Erfahrung besonders zielführend?

Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten der Zusammenarbeit. In Projekten mit Auftragsforschung arbeiten wir im direkten Auftrag von Unternehmen an der Entwicklung spezifischer Technologien. Die andere Möglichkeit liegt in der gemeinsamen Beantragung von Förderprojekten. Hierzu haben wir viel Erfahrung und Kompetenz im Haus. Wir unterstützen interessierte Unternehmen auch dabei, die richtige Fördermöglichkeit zu finden.

Für uns sind beide Formen der Zusammenarbeit Teil unserer täglichen Arbeit, und wir freuen uns immer darüber, Projektmöglichkeiten mit neuen Partnern auszuloten.


Dr. Arne Roth arbeitet als Leiter der Abteilung „Nachhaltige katalytische Prozesse“ am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Straubing. Dort beschäftigt er sich vor allem mit der Nutzung von CO2 als Rohstoff für die Synthese von Kraftstoffen, chemischen Produkten und Materialien durch Power-to-X-to-Y Prozesskaskaden. Arne Roth studierte Chemie an der Universität Bielefeld und wurde an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Bereich der Bioanorganischen Chemie promoviert.