Hot Seat: Sarah Rentschler-Gerloff | Convista:

Datum: 29 Apr., 2025

​​Blockchain gilt als eine der vielversprechendsten Technologien für die Zukunft – auch für die Chemie- und Rohstoffindustrie. In diesem Interview erklärt Frau Rentschler-Gerloff, was Blockchain überhaupt ist, wie sie speziell in der Produktion und im Chemiebereich eingesetzt werden kann und welche konkreten Vorteile sie bietet.

Liebe Frau Rentschler-Gerloff, können Sie in kurzen Worten erklären, was Blockchaintechnologie ist, für jemanden, der sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt hat? Und wie schätzen sie die Zukunft für diese neue Technologie ein? 

Blockchain-Technologie ist eine dezentrale Datenbankstruktur, die Informationen in chronologisch geordneten, unveränderlichen Blöcken speichert. Jeder Block enthält Transaktionsdaten, die durch kryptografische Verfahren gesichert sind. Das Besondere an der Blockchain ist, dass sie ohne zentrale Instanz funktioniert – sie wird von einem Netzwerk von Computern verwaltet, die Einigkeit über neue Transaktionen erzielen. Dadurch bietet sie hohe Transparenz, Sicherheit und Manipulationsschutz. 
Die Zukunft der Blockchain-Technologie sehe ich sehr vielversprechend. Neben Kryptowährungen wie Bitcoin und Stablecoins gewinnt sie in vielen Branchen an Bedeutung, etwa im Finanzwesen, der Logistik, dem Gesundheitssektor, dem Chemie- und Rohstoffsektor und sogar im öffentlichen Sektor. Als Beispiel kann man hier die Agentur für Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anführen. Beide Institutionen setzen bereits heute Blockchain Technologie ein. 
Insbesondere smarte Verträge („Smart Contracts“) und die Entwicklung digitaler Identitäten revolutionieren bestehende Prozesse. Herausforderungen wie regulatorische Abstimmungen oder Energieverbrauch werden kontinuierlich ausgearbeitet und verbessert, um eine breite gesellschaftliche und wirtschaftliche Akzeptanz zu erreichen. 

Was lässt sich mit dieser Technologie denn alles machen, insbesondere für produzierende Gewerbe? 

Die Blockchain-Technologie bietet für die Chemieindustrie viele spannende Anwendungen, insbesondere in den Bereichen Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Effizienzsteigerung. 

Rückverfolgbarkeit von Rohstoffen und Produkten: 

Mit Blockchain lassen sich Lieferketten lückenlos dokumentieren. Chemische Rohstoffe und Endprodukte können über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg nachvollzogen werden – von der Herstellung über den Transport bis zum Endkunden. Das hilft, Fälschungen zu vermeiden und Qualitätsstandards einzuhalten. 

Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: 

Mit Blockchain können Unternehmen den CO₂-Fußabdruck von Chemikalien genau erfassen und Recyclingprozesse transparenter gestalten. Das erleichtert die Einhaltung von Umweltvorschriften und fördert nachhaltige Produktion, als auch die Recyclingprozesse. 
Die Blockchain ermöglicht ein sicheres Belohnungssystem für umweltfreundliches Handeln und Recycling. CO₂-Zertifikate können als fälschungssichere Token digital gespeichert und effizient gehandelt werden. Dies erleichtert den Zugang, zieht weitere und neue Investoren an und erweitert den Markt für Emissionsrechte, wodurch Kosten sinken und der CO₂-Handel transparenter wird. Die „Tokenisierung“ wandelt physische oder digitale Vermögenswerte in blockchain-basierte Token um, die handelbar, teilbar und programmierbar sind. 

Effiziente und sichere Dokumentation: 

In der Chemiebranche sind zahlreiche Zertifikate, Sicherheitsdatenblätter und gesetzliche Nachweise erforderlich. Durch Blockchain können diese digital und fälschungssicher gespeichert sowie automatisiert geprüft werden, wodurch Papierkram reduziert und Prozesse beschleunigt werden. 

Smart Contracts für automatisierte Prozesse: 

Automatisierte Verträge können Bestellungen, Zahlungen und Lieferungen sicher und ohne manuelle Eingriffe abwickeln. Das senkt Verwaltungskosten und minimiert Fehler. Insbesondere bei grenzüberschreitende Zahlungen. 

Schutz geistigen Eigentums: 

Formeln, Patente und Forschungsdaten können manipulationssicher gespeichert werden. Dadurch lassen sich Innovationsprozesse absichern und unerlaubte Nutzung vermeiden. 

Können sie uns ein Beispiel geben, in dem diese Technologie zum Einsatz kommt?    

Ein praxisnahes Beispiel für den Einsatz der Blockchain-Technologie in der Chemieindustrie ist die automatisierte und transparente Abwicklung von Rohstofflieferungen, inklusive Verfolgbarkeit, Abrechnung und Just-in-Time-Handel nach der Lieferung. 

Use Case: Blockchain in der Rohstofflogistik und Abrechnung 

Ein Chemieunternehmen benötigt regelmäßig große Mengen an Rohstoffen wie Lösungsmittel, Kunststoffe oder Spezialchemikalien. Hier kommt die Blockchain-Technologie ins Spiel: 

Verfolgbarkeit der Rohstoffe: 

Jeder Rohstoffbehälter wird mit einer digitalen Kennung (z. B. RFID oder QR-Code) versehen. Beim Verladen auf den Transportweg wird die Herkunft, Qualität und Menge der Chemikalien auf einer Blockchain gespeichert. Alle Beteiligten – vom Lieferanten über den Transportdienstleister bis zum Chemieunternehmen – haben in Echtzeit Zugriff auf diese Daten. 

Fälschungssichere Dokumentation: 

Informationen wie Sicherheitszertifikate, Prüfprotokolle oder Temperaturbedingungen während des Transports werden manipulationssicher in der Blockchain hinterlegt. Das erleichtert die Qualitätssicherung und minimiert Betrug oder Fehler. 

Automatisierte Abrechnung per Smart Contracts: 

Sobald die Lieferung das Werk erreicht und mit IoT-Sensoren automatisch erfasst wird, löst ein Smart Contract die Zahlung aus. Dies geschieht nur, wenn alle definierten Parameter (z. B. richtige Menge, Qualität, Lieferzeit) erfüllt sind. Dadurch werden Rechnungsprozesse beschleunigt und Fehler in der Abrechnung vermieden. 

Just-in-Time-Handel nach der Lieferung: 

Falls das Unternehmen feststellt, dass es mehr Rohstoffe erhalten hat als benötigt, kann es die überschüssige Menge direkt auf einer Blockchain-basierten Handelsplattform anbieten. Andere Unternehmen können diese Bestände in Echtzeit kaufen und direkt weiterverarbeiten. Dies verhindert Überbestände und optimiert die Lagerhaltung. 

Vorteile für die Chemieindustrie: 

  • Transparente Lieferketten: Echtzeit-Tracking der Rohstoffe vom Ursprung bis zur Verarbeitung. 
  • Kosteneffiziente Abwicklung: Reduktion von Verwaltungsaufwand durch automatisierte Abrechnungen. 
  • Sicherheit & Compliance: Manipulationssichere Dokumentation von Zertifikaten und Prüfberichten. 
  • Effiziente Ressourcennutzung: Just-in-Time-Handel von Rohstoffen reduziert Verschwendung. 

Diese Technologie ermöglicht es Chemieunternehmen, ihre Lieferketten effizienter, sicherer und kostengünstiger zu gestalten – ein echter Wettbewerbsvorteil in einer zunehmend digitalisierten Industrie. 

Noch ein weiteres Praxis Beispiel aus der Chemie Industrie  

Ein praktisches Beispiel für den Einsatz der Blockchain-Technologie in der Chemieindustrie ist das Chemchain-Projekt, an dem das belgische Chemieunternehmen Solvay beteiligt ist. Dieses von der Europäischen Union finanzierte Projekt zielt darauf ab, chemische Informationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette transparent und sicher zu verfolgen.  Das Projekt wurde mittlerweile von 3E übernommen (https://www.3eco.com/) und hat die Lösung in ihre 3E Exchange Plattform, eine Supply Chain & Sustainability Plattform integriert. 3E ist ein Unternehmen, das sich auf Compliance- und Nachhaltigkeitslösungen für die Chemie-, Umwelt- und Produktregulierungsbranche spezialisiert hat. 
 

Use Case: Nachverfolgbarkeit von Chemikalien für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft 

Im Rahmen des Chemchain-Projekts speichert Solvay Daten zu verwendeten Chemikalien auf einer Blockchain-basierten Plattform. Hersteller können dort spezifische Informationen zu chemischen Zusammensetzungen hinterlegen und gezielt für nachfolgende Akteure in der Lieferkette freigeben. Dies ermöglicht es nachgelagerten Produzenten, Konsumenten und Entsorgern, relevante Daten abzurufen, ohne dass vertrauliche Details der gesamten Produktionskette offengelegt werden müssen. Für Entsorgungsunternehmen erleichtert diese Transparenz den fachgerechten Abbau und das Recycling von Produkten, was die Entwicklung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft fördert. 

Vorteile für die Chemieindustrie: 

  • Erhöhte Transparenz: Durch die Blockchain-Technologie können alle Beteiligten der Lieferkette auf vertrauenswürdige und unveränderliche Daten zugreifen, was das Vertrauen und die Zusammenarbeit stärken. 
  • Effizientes Recycling: Dank detaillierter Informationen über die chemische Zusammensetzung von Produkten wird der Recyclingprozess optimiert, was zu einer Reduzierung von Abfällen und einer effizienteren Ressourcennutzung führt.
  • Sicherer Datenaustausch: Die Blockchain ermöglicht es, sensible Informationen selektiv und sicher mit berechtigten Partnern zu teilen, wodurch der Schutz geistigen Eigentums gewährleistet bleibt. 

Das Beispiel zeigt, wie die Integration von Blockchain-Technologie in der Chemieindustrie nicht nur die Transparenz und Effizienz entlang der Lieferkette verbessert, sondern auch maßgeblich zur Förderung nachhaltiger Praktiken beiträgt. 

Gibt es noch etwas, was Sie unseren LeserInnen mit auf den Weg geben wollen? 

Ja, die Blockchain-Technologie bietet der Chemieindustrie enorme Chancen, insbesondere in den Bereichen Rückverfolgbarkeit, Fälschungssicherheit und Nachhaltigkeit. Unternehmen, die frühzeitig in Blockchain investieren, können ihre Lieferketten effizienter gestalten, regulatorische Anforderungen besser erfüllen und das Vertrauen von Kunden sowie Partnern stärken. Wichtig ist jedoch, die Implementierung strategisch zu planen, passende Partner auszuwählen und regulatorische Herausforderungen im Blick zu behalten. Die Zukunft der Chemieindustrie wird zunehmend digital – Blockchain kann dabei eine Schlüsselrolle spielen. 


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