Hot Seat: Prof. Dr. Markus Retsch

Datum: 25 Mrz, 2022

Lieber Markus, in Deiner Arbeitsgruppe an der Universität Bayreuth beschäftigt Ihr Euch mit funktionellen Nanostrukturen. Was genau bedeutet das?

Wir synthetisieren in meiner Gruppe Materialien, die auf Längenskalen von wenigen Nanometern bis einigen Mikrometern strukturiert sind. Wir stellen derartige Strukturen durch einen sogenannten bottom-up Ansatz her, also durch kleinere Bausteine, die gezielt zu einer größeren Gesamtstruktur zusammengesetzt werden. Dieser Prozess wird „Selbstanordnung“ genannt und resultiert in spannenden Nanostrukturen, die hoch geordnet aber auch gezielt ungeordnet sein können. In meiner Gruppe interessieren wir uns aber nicht nur für die Herstellung derartiger Strukturen, sondern auch dafür, was diese für besondere Eigenschaften besitzen. Aus der Nanostrukturierung folgen nämlich oft besondere Funktionen, die wir dann analysieren. Beispiele sind u.a. die optische Erscheinung z.B. in Form von Opaleszenz, aber auch mit der Wärmeleitfähigkeit in solchen Nanostrukturen haben wir uns intensiv auseinander gesetzt.

Du hattest 2016 einen der renommierten ERC Starting Grants des Europäischen Forschungsrats eingeworben. Worum geht es in dem Projekt und zu welchen Ergebnissen seid Ihr bekommen?

In dem Projekt „VISIRday“ möchten wir Materialien herstellen, die sich von selbst kühlen können. Das klingt auf den ersten Blick vielleicht etwas unglaublich, lässt sich durch geschicktes Einstellen der optischen Eigenschaften aber tatsächlich realisieren. Auch hier verwenden wir wieder unsere Methoden zur Herstellung spezifischer Nano- und Mikrostrukturen. Im Kern geht es darum das Weltall als kalte Wärmesenke zu verwenden, um Wärme von der Erde zu entfernen. Im Rahmen des Projekts haben wir schon verschiedene Konzepte entwickelt welche Materialien oder Strukturen diesen Effekt zeigen können. Gleichzeitig haben wir auch eine Messmethodik entwickelt, die die Charakterisierung dieser neuen Materialklasse verbessern soll. Das gesamte Feld passiv kühlender Materialien hat sich über die letzten fünf Jahre rasant entwickelt, sodass ich gespannt bin die ersten praktischen Anwendungen in naher Zukunft zu sehen.

Für welche Branchen sind Eure Ergebnisse relevant und wie schätzt Du den Zeithorizont bis zum tatsächlichen Einsatz solcher Materialien ein?

Viele unserer Themen beschäftigen sich mit Energieeffizienz und Wärmemanagement. Unsere Materialien aber auch Charakterisierungsmethoden sind daher für verschiedenste Branchen interessant, in denen Wärme ein besondere Rolle spielt. Das reicht letztlich von kleinsten LEDs, über Batterien bis hin zur Gebäudedämmung. Unser Ziel ist es ein grundlegendes Verständnis zwischen der Struktur und den Eigenschaften des jeweiligen Materials zu erarbeiten. Für den großflächigen Einsatz unserer Materialien müssen typischerweise Fragen zur Skalierung geklärt werden, was sicherlich noch weiter in der Zukunft liegt. Unsere Erkenntnisse zum Zusammenspiel von Strukturen und deren Eigenschaften können aber auch unmittelbarer zur Verbesserung bestehender Prozesse genutzt werden.

Am Ende hätte ich noch eine etwas ketzerische Frage: Es soll ja Leute geben, die behaupten, Kolloide hätten Ihre besten Zeiten hinter sich. Was ist Deine Meinung dazu?

Der Begriff „Kolloid“ ist sicherlich etwas angestaubt, wenn man bedenkt, dass er seit über 160 Jahren für Strukturen im sub-Mikrometer Bereich Verwendung findet. Ich denke auch, dass dieser Fachbegriff den Wenigsten geläufig sein wird. In Anbetracht der Bedeutung von Nanostrukturen (Computerchips), Aerosolen (Corona-Virus), Tensiden (Lebensmittel) u.v.m. für unser modernes, tägliches Leben sind Kolloide aber bestimmt wichtiger als jemals zuvor.


Markus Retsch hat an der Universität Bayreuth „Polymer- und Kolloidchemie“ studiert und am Max-Planck-Institut für Polymerforschung promoviert. Nach einem Postdocaufenthalt am Massachussetts Institute of Technology in Boston hat er eine Nachwuchsgruppe an der Universität Bayreuth im Bereich funktionaler, kolloidaler Materialien aufgebaut. Nach einer Lichtenberg-Professur und einem ERC Starting Grant übernahm Markus Retsch 2018 den Lehrstuhl für Physikalische Chemie 1 an der Universität Bayreuth und führt dort seine Forschungsinteressen im Bereich energieeffizienter Materialien fort.

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