Hot Seat: Patrik Stenner & Nicolas Vogel

Datum: 15 Jul, 2022

Heute unterhalten wir uns mit Patrik Stenner von Evonik und Prof. Dr. Nicolas Vogel von der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg über ihr Kooperationsprojekt zur Entwicklung innovativer 3D Druck-Materialien.

Nicolas, Patrik, Ihr arbeitet gemeinsam an der Entwicklung neuartiger Materialien für den 3D-Druck. Worum geht es genau und welche Vorteile bietet Euer Ansatz im Vergleich zu bestehenden Technologien?

Patrik: Zur Verarbeitung von Polymeren im 3D Druck gibt es verschiedene Technologien. Bei einigen Verfahren wird ein Partikelbett aufgebaut, wie zum Beispiel beim „Binderjetting“ oder bei der „Powder Bed Fusion“-Fertigung. Um beim 3D Druck eine gleichbleibende Qualität zu erreichen, müssen die Partikel in einer bestimmten Größenverteilung vorliegen und geeignete Fließeigenschaften aufweisen. Insbesondere das Fließverhalten, welches durch die Partikelgröße, Partikelform, Elektrostatik und Partikeloberfläche stark beeinflusst wird, kann durch den neuen Herstellungsprozess deutlich verbessert werden. Das Verfahren ermöglicht es, runde Partikel mit einer strukturierten Oberfläche aufzubauen, so ein optimales Fließverhalten einzustellen und damit eine perfekte Druckqualität zu erreichen.

Nicolas: Wir entwickeln mit der neuen Herstellungsstrategie Pulversysteme, die dann bei der „Powder Bed Fusion“-Fertigung gezielt mittels eines Lasers aufgeschmolzen werden und so in beliebige Formen gedruckt werden können. Dieser Prozess ist besonders für hochwertige, teilkristalline Polymere geeignet und erzeugt Bauteile mit sehr guten mechanischen Eigenschaften. Ein wirkliches Nadelöhr für diesen Prozess ist zurzeit die geringe Verfügbarkeit geeigneter Pulver. Insbesondere Spezialpolymere und Komposite lassen sich noch nicht zufriedenstellend drucken, sind aber von hohem Interesse. Gerade im biomedizinischen Sektor werden hochqualitative Polymere und funktionelle Additive benötigt, um passgenau und patientenspezifisch Biomaterialien drucken zu können. Unser Prozess basiert auf sogenannten Suprapartikeln. Hier lagern wir kleine Partikel gezielt zu größeren Strukturen – den Suprapartikeln – zusammen. Dieser Ansatz erlaubt die Herstellung komplexer Pulversysteme mit einer breiten Auswahl an Polymeren und Additiven, um solche biomedizinischen Anwendungen angehen zu können. So konnten wir zum Beispiel zeigen, dass sich Knochenersatzmaterialien mit dem Ansatz gut herstellen lassen: https://doi.org/10.1002/adfm.202205730

Wie genau kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Nicolas: Wir kennen uns schon seit vielen Jahren, nachdem ein Student auf mich zukam und fragte, ob er seine Masterarbeit bei Evonik anfertigen könnte. Ich fand das Thema interessant und initiierte eine Kooperation mit Patrik, in die diese Masterarbeit integriert werden konnte. Dabei ging es um die Aufreinigung von industriellem Wasser, insbesondere zur Entfernung von nano- und mikroskopischen Polymerpartikel. Diese Zusammenarbeit hat uns dann so gut gefallen, dass wir dieses Projekt mittlerweile in einem großen EU-Projekt (LimnoPlast*) weiterführen.

Patrik: Durch das Projekt Limnoplast stehen wir ständig im Austausch und so können wir auch immer wieder neue Themen diskutieren. Nicolas berichtet zum Beispiel von neuen Entwicklungen zur Partikelgenese und ich kann berichten, welchen technischen Herausforderungen wir uns aktuell stellen müssen. Wir versuchen dann, beides abzustimmen und dann entsteht vielleicht wieder ein neues gemeinsames Projekt.

Wenn Ihr mal aus dem Nähkästchen plaudert: Welche Vorteile, oder auch Schwierigkeiten, seht Ihr bei der Zusammenarbeit von Universitäten und Unternehmen?

Nicolas: An der Universität nehmen wir uns gerne Zeit, Dinge sehr grundlegend zu verstehen – auch wenn die Eigenschaften zunächst nicht genau für ein bestimmtes Endprodukt abgestimmt sind. Die Industrie hat natürlich ganz andere Rahmenbedingungen – ökonomische, patentrechtliche oder Schutz von Arbeitsgeheimnissen. Das birgt natürlich auch Interessenskonflikte in der Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Industrie. Mit Patriks Team von Evonik arbeite ich aber gerade deshalb so gerne zusammen, weil sie die größeren gedanklichen Freiheiten an der Uni zu schätzen wissen und neugierig sind auf unsere kreativen Ansätze und „Out-of-the-Box“-Ideen. Genau das brauchen wir, um dann schließlich Innovationen zu generieren. Auf der anderen Seite kennt das Team von Evonik natürlich viel genauer den Markt, die Anwendungspotentiale und auch Problemfelder ihrer Technologien. Im Gespräch können wir daher viel voneinander lernen und so die Zusammenarbeit sehr gut und zielführend in die richtige Richtung lenken.

Patrik: Nicolas’ Gruppe ist sehr gut aufgestellt und arbeitet an vielen anwendungsnahen Themen, die für Evonik sehr interessant sind. Der Start eines neuen Projektes ist zwar immer mit einigen administrativen Hürden verbunden bis zum Beispiel alle Geheimhaltungsvereinbarungen unterschrieben sind, aber dann läuft es immer sehr gut und wir haben einen intensiven Austausch.

 


Nach dem Studium der Verfahrenstechnik begann Patrik Stenner seine Laufbahn 1996 in der Zentralen Forschung der Degussa, eine der Vorgängerorganisationen der Evonik. Sein Arbeitsschwerpunkt lag im Bereich der physikalischen Chemie und Elektrochemie. Nach einigen Jahren in der Forschung und an verschiedenen Produktionsstätten des Konzerns wechselte er in den Bereich Process Technology. Seit 2018 leitet er dort die Gruppe Electrochemical Processes and Exploration. In seinem Team werden Themen aus dem Bereich der Elektrochemie und der Partikeltechnologie bearbeitet mit dem Fokus, neue Prozesse für den Konzern zu identifizieren, zu entwickeln und schließlich in der Produktion zu implementieren.

Nicolas Vogel studierte Chemie an der Johannes-Gutenberg Universität Mainz und an der Seoul National University in Seoul, Südkorea. 2011 promovierte er am Max-Planck-Institute für Polymerforschung über das Verhalten kolloidaler Partikel an der Luft-Wasser Grenzfläche. Von 2012-2014 arbeitete er als Wissenschaftler an der Harvard University in Cambridge. Im Dezember 2014 wurde er als Professor an die Friedrich-Alexander Universität berufen, wo er im Department Chemie- und Bioingenieurwesen arbeitet. Seine Forschungsinteressen kreisen um die Selbstorganisation kolloidaler Partikel und die Erzeugung funktioneller Materialien nach dem Vorbild der Natur.