Hot Seat: Innokentij Bogatykh | ModelForge

Datum: 30 Okt, 2024

Heute begrüßen wir Innokentij Bogatykh stellvertretend für das dreiköpfige Gründerteam von ModelForge auf unserem Hot Seat. Das Start-up aus Augsburg revolutioniert die KI-basierte Prozessoptimierung für die Chemieindustrie. Wir sprechen mit dem Team über ihre Mission, die Herausforderungen in der Branche und wie ihre Technologie diese adressiert.


Hallo liebes Team von ModelForge. Könnt Ihr uns einen Überblick über ModelForge und seine Mission geben?

Wenn wir über Prozessoptimierung in der chemischen Industrie sprechen, ist dies bereits ein anspruchsvolles Ziel, das bisher nur mit größeren Investitionen erreichbar ist. Daher werden solche Projekte vor allem in der großtechnischen Industrie umgesetzt, die über das nötige Kapital verfügt. Bei der Prozessoptimierung handelt es sich um modellgestützte mathematische Optimierung im strikten Sinn von „besser geht nicht“. Genau hier liegt das große Bottleneck: die Modellerstellung.
Die Mission von ModelForge besteht darin, das produzierende Gewerbe – besonders kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) – zu befähigen, optimale Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Durch die Integration von Künstlicher Intelligenz in die Modellerstellung und Optimierung über eine selbstentwickelte Software ist ModelForge in der Lage, dieses Ziel zu erreichen.

Welche spezifischen Herausforderungen in der Chemieindustrie adressiert Eure Softwarelösung?

Unsere Softwarelösung zielt darauf ab, mehrere spezifische Herausforderungen in der Chemieindustrie zu bewältigen:

  1. Komplexität der Prozesse: Chemische Prozesse sind oft sehr komplex mit vielen Eingaben und Wechselwirkungen. Die Optimierung dieser Prozesse ist schwierig, da häufig nur einzelne Teile betrachtet werden, ohne das Gesamtsystem zu berücksichtigen.
  2. Änderungen und Störungen: Prozesse ändern sich häufig, beispielsweise durch Variationen im Feedstock, Alterungsprozesse oder Umgebungsstörungen, was kontinuierliche Anpassungen erfordert.
  3. Suboptimale Verbesserungsansätze: Aktuell wird die Verbesserung von Prozessen oft durch Erfahrungswissen und Trial-and-Error-Methoden erreicht. Dies führt zu suboptimalen Ergebnissen und ist sowohl kosten- als auch zeitintensiv.
  4. Hohe Beratungskosten: Externe Consultingdienstleister sind teuer und steigern oft nicht das interne Know-how.

Unsere Software ermöglicht es Unternehmen, digitale Zwillinge ihrer chemischen Prozesse selbst zu erstellen und zu verwalten. Diese Zwillinge passen sich selbstständig an Prozessänderungen an, sagen Störungen voraus und schlagen Betriebsparameter-Anpassungen vor. Dadurch haben Unternehmen die volle Kontrolle und Gewissheit, dass ihre Prozesse optimal betrieben werden.

Wie funktioniert die KI-basierte Prozessoptimierung in Eurer Software und welche Vorteile bietet sie im Vergleich zu herkömmlichen Methoden?

Unsere Software nutzt KI-basierte Prozessoptimierung, um optimale Betriebsparameter für spezifische Qualitätsmerkmale oder Wirtschaftlichkeitskriterien zu finden. Diese Optimierung erfordert eine genaue Quantifizierung der Zusammenhänge zwischen Eingangs- und Ausgangsgrößen, die durch Prozessmodelle erreicht wird. Traditionell werden diese Modelle manuell von Experten erstellt und durch teure Versuchskampagnen validiert. Hier setzt unsere KI an:

  1. Integration von Prozessverständnis und Messdaten: Die KI verknüpft bestehendes Prozessverständnis mit realen Messdaten, wodurch eine präzisere und dynamischere Optimierung ermöglicht wird.
  2. Beratende Rolle der KI: Die KI identifiziert Bereiche, in denen Messdaten fehlen, und schlägt vor, welche Betriebsparameter angepasst werden sollten, um einen optimalen Betrieb zu erreichen.
  3. Effizienzsteigerung: Durch die Nutzung von KI kann der Aufwand zur Realisierung eines optimalen Betriebs auf 25-50% im Vergleich zu herkömmlichen Methoden reduziert werden. Herkömmliche Methoden wie statistische Versuchsplanung oder aufwändige modellbasierte Konzepte sind wesentlich zeit- und kostenintensiver.

Insgesamt bietet unsere KI-basierte Prozessoptimierung eine effizientere, präzisere und kostengünstigere Möglichkeit, chemische Prozesse zu optimieren, indem sie das vorhandene Prozesswissen intelligent mit aktuellen Messdaten verknüpft.

Könnt ihr uns Beispiele für erfolgreiche Anwendungen Eurer Werkzeuge in der Industrie nennen?

Im Rahmen des Projekts „KI-Inkubator-Labore in der Prozessindustrie – KEEN“, gefördert durch das BMWK (Förderkennzeichen 01MK20014T), konnte der Betrieb einer existierenden Batchrektifikationskolonne durch den Einsatz von KI optimiert werden. Dabei wurde die Dauer der Batchzyklen verkürzt, ohne die Qualität und Quantität des Destillats zu beeinträchtigen. Der Ausgangspunkt war ein einfaches, unzureichend genaues Prozessmodell, das mithilfe gespeicherter Messdaten von Batchzyklen mit geringem Informationsgehalt, wie es beim Betrieb chemischer Prozesse üblich ist, über KI-Methoden an die Realität angepasst wurde.

Weitere Studien wurden mit reaktiven Systemen und Kristallisatoren durchgeführt. Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Anwendungsfällen, bei denen ähnliche Herausforderungen in der Modellierung auftreten.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke!


ModelForge entstand aus dem Wunsch, neueste Forschungsergebnisse der Prozessmodellierung in die Industrie zu bringen. Zu oft verschwinden vielversprechende Ergebnisse in der Schublade. Wir sind überzeugt, dass die neuesten Entwicklungen das Potenzial haben, die chemische Industrie zu revolutionieren. Mit unserem Know-how möchten wir einen bedeutenden Beitrag dazu leisten.

ModelForge möchte die Lücke zwischen Forschung und industrieller Anwendung schließen. Mit einem engagierten Team und einer klaren Vision arbeiten wir daran, die chemische Industrie durch innovative Prozessmodellierung zu unterstützen.

Innokentij Bogatykh leitet die strategische Ausrichtung von ModelForge und schließt derzeit die Promotion in Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Berlin ab. Mit einem Abschluss in angewandter Forschung in Verfahrenstechnik und zahlreichen erfolgreich abgeschlossenen Industrieprojekten kennt er die speziellen Herausforderungen, Forschungsergebnisse in die Praxis zu überführen.

Gerardo Brand Rihm ist für die technische Leitung bei ModelForge verantwortlich. Er verfügt über fundierte Fachkenntnisse, die er durch zwei Studienabschlüsse in Wirtschaftsingenieurwesen und Verfahrenstechnik sowie seine Promotion an der TU Berlin erworben hat.

Teslin Roys, unser verantwortlicher Softwarearchitekt, bringt fast zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Softwareentwicklung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie mit. Seine Expertise umfasst Anwendungen in den Bereichen maschinelles Lernen, Grafik und Full-Stack-Webentwicklung. Mit Abschlüssen in Informatik und Computerlinguistik ist er bestens qualifiziert, die softwaretechnischen Aspekte von ModelForge zu leiten.