Hot Seat: Frau Wittmann & Prof. Dr. Krumeich

Datum: 19 Mai, 2022
Abbildung 1: von Jörg Schleicher; v. l. n. r.: Professor Dr. Valentin Plenk (Vizepräsident), Professor Dr. Jörg Krumeich (Forschungsgruppenleiter), Jessica Wittmann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin), Christoph Holtmann (Geschäftsführer Lacolor Lackfabrikation GmbH), Dr. Dorothee Strunz (Vorstandsvorsitzende der Fördergesellschaft)

Frau Wittmann & Herr Professor Dr. Krumeich: Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung Sonderpreis Forschung 2021 der Hochschule Hof zum diesjährigen Wissenschaftstag am 25. April. Erzählen Sie uns wie es zu diesem Projekt gekommen ist und worin die Innovation liegt.

Vielen Dank für die Glückwünsche. Wir freuen uns sehr, dass wir mit dem Sonderpreis Forschung ausgezeichnet wurden. Der mit 10.000 € dotierte Preis, der 2021 erstmalig ausgelobt wurde, ist für das gesamte Projektteam eine besondere Auszeichnung und würdigt in besonderem Maße die Forschung an der Hochschule Hof bzw. am Institut für Materialwissenschaften als auch die projektbezogene Zusammenarbeit mit der Firma Lacolor Lackfabrikation GmbH aus Enger (NRW).

Die Projektidee entstand rückblickend wie viele Entwicklungen: Die Welt von morgen durch Entwicklungen von heute ein Stück besser zu machen. Themen wie Umweltbelastung, Ressourcenschonung, Keimbelastung, Nutzung von Bio-Rohstoffen aus der Natur, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft bzw. Verwertung von Abfällen sind wesentliche Motivationsfaktoren, die zu dieser Forschung beigetragen haben. Weiterhin ist die Projektidee davon gekennzeichnet, den Einsatz von bisherigen Stoffen wie z. B. Silber, Silber-(Nano-)Partikel oder Kupfer zu reduzieren und durch biobasierte Wirkstoffe zu substituieren. Damit könnte eine zusätzliche Umweltbelastung verhindert werden, da ein möglicher Abbau der Beschichtung die Gefahr bergen kann Silber- oder Kupferpartikel freizusetzen.

Die Innovation ist somit der Einsatz von Chitosan als Wirkkomponente. Der Wirkstoff wird z. B. aus Krabbenschalen gewonnen, die bei der Fischerei als Abfälle anfallen, und er ist bekannt für seine antimikrobielle, antivirale, antibakterielle, antimykotische und antifugale Wirkung. So ist Chitosan bereits heute in vielen technischen Bereiche etabliert, darunter zählen Anwendungen wie die Kellerwirtschaft (Önologie), die Wasseraufbereitung oder die Verwendung von Chitosan in Wundauflagen.

Damit war die Idee geboren, ob Chitosan nicht auch in Beschichtungsstoffe eingearbeitet werden kann, um so antimikrobielle Lacke herzustellen. Daher beschäftigt sich das Forschungsprojekt „Krankenhausbett“ (kurz: „KH Bett“) mit der Entwicklung einer antimikrobiellen Beschichtungsformulierung, wobei der Wirkstoff Chitosan als Wirkkomponente eingesetzt wird. Die Vision ist also Oberflächen mit einem Lack mit dem biobasierten Wirkstoff Chitosan antimikrobiell auszustatten.

Wo liegen beim Projekt „KH Bett“ Herausforderungen sowie weitere Entwicklungsbereiche, um mit dem Produkt eine signifikante Marktreife zu erlangen?

Konkret existieren zwei Bereiche an Herausforderungen. Der erste Bereich umfasst die technischen Abhängigkeiten, um zu einer Marktreife zu gelangen. Beispielsweise ist Chitosan dafür bekannt, dass es wasserunlöslich ist. Es ist demnach schlüssig, dass die Einarbeitung des Wirkstoffes in die Beschichtungsmatrix entsprechend komplex sein kann, um eine gegen Mikroorganismen wirksame Oberfläche zu generieren. Daran angeknüpft ist eine weitere technische Herausforderung sowohl eine Kurz- als auch eine Langzeitwirkung zu erzielen, um eine dauerhaft wirksame Oberfläche anbieten zu können. Daneben soll der Materialeinsatz aus Sicht der Kosten und Ressourcen so hoch wie nötig, aber gleichzeitig so gering wie möglich sein. Ferner ist es wichtig, dass die Lackeigenschaften trotz Wirksamkeit bestehen bleiben und keine unvorteilhaften Einflüsse auf die Verarbeitbarkeit oder die Lagerstabilität auftreten. Schlussendlich soll es möglich sein den antimikrobiellen Chitosan-Lack auch im Industriemaßstab produzieren zu können.

Der zweite Bereich, der Einflüsse auf die Marktreife hat, sind allgemein die regulatorischen Abhängigkeiten. Damit sind Zulassungsbeschränkungen, Normen, Empfehlungen und Freigaben von Institutionen gemeint, die einen Einsatz beschränken können. Im Projekt „KH Bett“ können beispielsweise Krankenhäuser nicht eigenständig die Verwendung von innovativen antimikrobiellen Bio-Lacken bestimmen, sondern die Ausstattung und zugelassenen Freigaben erfolgen zentral vom Robert-Koch-Institut. D. h. die erfolgreiche Entwicklung einer nachweislich wirksamen Oberflächenbeschichtung mit Chitosan reicht allein noch nicht aus, um wirklich eingesetzt werden zu können.

Wir sind mit dem Projekt bereits in verschiedenen Netzwerken zu antimikrobiellen Oberflächen aktiv, allerdings könnte hier der Weg seitens der Entscheidungsträger wesentlich beschleunigt und vereinfacht werden, um innovative Entwicklung schneller in den Markt zu bringen.

Für die Zukunft: Sehen Sie weitere Anwendungsmöglichkeiten des entwickelten Produkts? Wie sieht Ihre persönliche Weiterentwicklung aus, Frau Wittmann?

Die entwickelte Beschichtungsformulierung ist für das Projekt „KH Bett“ zwar für Krankenhaus- und Pflegebetten entwickelt worden, jedoch sehen wir definitiv auch weitere Anwendungsmöglichkeiten für das entwickelte Produkt. Theoretisch ist ein Übertrag auf fast alle beschichtbaren Objekte möglich. Zuvor ist jedoch eine Überprüfung der qualitativen Anforderungen im geplanten Anwendungsbereich erforderlich. Beispielsweise existieren für Krankenhaus- und Pflegebetten spezielle Normen und Qualitätsstandards als für andere Anwendungen. Zukünftig könnte die antimikrobielle Chitosan-Beschichtung vielseitig eingesetzt werden z. B. in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Bus und Bahn, in Bibliotheken, in Büros und dort, wo aufgrund eines hohen Publikumsverkehrs ein hohes Infektionsrisiko besteht. Um nicht nur eine horizontale Skalierung, sondern auch eine vertikale Skalierung zu ermöglichen, arbeiten wir zusammen mit dem Projektpartner Lacolor Lackfabrikation GmbH an einem Folgeantrag. Dabei sollen weitere Biowirkstoffe als potenzielle Wirkkomponente untersucht werden, umso das Produktportfolio bzw. das Wirksamkeitsspektrum zu erweitern. Ferner sollen für weitere Anwendungsbereiche die Beständigkeit der Lackoberfläche und die Wirksamkeit weiter optimiert werden.

Mein persönliches Ziel ist im Bereich der biobasierten Wirkstoffe und der Entwicklung von antimikrobiellen Beschichtungsformulierungen mit Bio-Rohstoffen zu promovieren. So bin ich seit wenigen Monaten als Promotionsstudentin an einer Technischen Universität eingeschrieben und darf an zukünftigen Biowirkstoffen und deren Verwendung in Lackrezepturen forschen. Neben der wissenschaftlichen Arbeit als solches wäre es großartig, wenn die Erkenntnisse meiner Forschung eines Tages für Industrie und Wirtschaft nutzbar gemacht werden könnten. Dieser Schulterschluss ist eine wesentliche Motivation für mich, um im Themenbereich der Bio-Wirkstoffe und deren Einsatz in Beschichtungen zu forschen.


Zum Podcast mit Frau Wittmann: Link

Zur Homepage der Hochschule Hof: Link