Hot Seat: Dr. Tilman Breitenstein | Scalable IP

Datum: 28 Okt., 2025

Scalable IP unterstützt Start-ups, Scale-ups und KMU dabei, ihre Innovationen mit klaren IP-Strategien abzusichern und wirtschaftlich nutzbar zu machen. Hierbei spielen Patente und Marke eine Rolle, aber auch Geschäftsgeheimnisse oder sogar Defensivveröffentlichungen. Im Gespräch mit Dr. Tilman Breitenstein – ehemals Führungskraft in den Patent- und IP-Abteilungen von Unternehmen wie BASF oder DSM – beleuchten wir, wie man geistiges Eigentum strategisch denkt, Fehler vermeidet und den Wert von IP im Innovationsprozess maximiert.

Hallo Herr Breitenstein, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unser Interview nehmen. Zu Beginn, was genau machen Sie heute mit Scalable IP, und wie unterscheidet sich Ihre Arbeit, auch mit Blick auf Ihre frühere Tätigkeit in Industrie & Unternehmen, von klassischer Patentanwaltsarbeit?

Ich sehe mich als Enabler, über meine Arbeit mit Startups, die Lehre an der Universität, oder über meine Unterstützung durch Seminare und Coaching in Industrieverbänden wie hier im ChemieCluster. Mein Schwerpunkt liegt dabei in der Verbindung der Unternehmensstrategie, also der Frage „wie wollt ihr erfolgreich sein“, oder „warum bezahlt der Kunde Geld für euer Produkt“ mit der IP-Strategie, also „welches IP brauche ich, um diese Unternehmensstrategie zu unterstützen, und welches nicht“. Ich arbeite hier viel mit Visualisierungen wie zum Beispiel dem Osterwalder Canvas, um eine IP-Strategie verständlich und umsetzbar zu machen. Wenn die Entscheidung fällt, Patente anzumelden, helfe ich bei der Suche nach einem spezialisierten Patentanwalt. Ich selber schreibe praktisch keine Patentanmeldungen mehr – denn jede Technologie ist anders, Details können entscheiden, und niemand kann mehr den gesamten chemischen Sektor abdecken.

Viele Start-ups – besonders in Hightech- oder Chemiebranchen – unterschätzen IP. Was sind typische Fehler oder blinde Stellen, die Sie in jungen Unternehmen sehen, wenn es um Patente oder Know-how-Schutz geht?

Ich beobachte häufig, dass Start-ups zu spät anfangen, sich mit IP auseinanderzusetzen. Zu häufig wird noch diese Finanzierungsrunde abgewartet, wird noch diese Versuchsreihe gefahren, wird noch dieser Prototyp gebaut. Sie verlieren hierbei einen wertvollen Vorsprung, denn die Konkurrenz schläft nicht. Für eine erfolgreiche Patentanmeldung benötigt man keinen Prototypen. Man muss eine ausführbare Erfindung  beschreiben können, und das ist meistens wesentlich früher. Ich nenne das die Expertenfalle: Der Maßstab für Patentierterbarkeit ist nicht, was kreative Köpfe in einem Spezialgebiet untereinander austüfteln, sondern Patentierterbarkeit wird gegenüber dem vollkommen unkreativen Durchschnittsfachmann ermittelt.

Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Arbeit nennen, bei dem ein durchdachtes IP-Konzept den Unterschied gemacht hat, das damit eine Finanzierung sichern, Wettbewerbsvorteile erzielen oder Nachahmer abschrecken konnte?

Ich denke hier an einen Mittelständler, der mit seinen Materialien bereits sehr erfolgreich ist, und diese nun auf der nächsten Wertschöpfungstufe durch eine radikal neue Anwendung weiter veredeln wollte. Noch bevor die Firma diese neue Anwendung durch Marketing öffentlich machte, haben wir uns in einem intensiven Workshop mit allen möglichen Schutzmöglichkeiten auseinandergesetzt. Damit meine ich nicht nur die Forscher in F&E, sondern auch Marketing und Sales, Produktion, IT. Das hat uns erlaubt, die neue Anwendung in einer ganzen Reihe von Patent- und Desinganmeldungen in vielen Dimensionen schützen zu können, z.B. das Produkt selbst, aber auch dessen Herstellung, Anwendung, und sogar die entsprechende Software. Ich nenne das einen IP-Harvesting Workshop. Als die Firma die neue Produktlinie nun öffentlich gemacht hat, war diese bereits in vielerlei Hinsicht  gegen Nachahmung geschützt.

Wenn Sie heute einem innovativen Chemie-Start-up oder einem technologieorientierten Mittelständler drei Empfehlungen zum Thema IP mitgeben müssten — welche wären das?

Erstens, das eigene IP-Wissen zu steigern. Hierzu gibt es an Universitäten oder in Verbänden wie hier im Chemie-Cluster ausreichend Angebote. Ich habe in meinen über 25 Jahren IP leider zu häufig den Satz gehört, „!ch hätte nicht gedacht, dass das patentiertbar ist’. Das ist immer bedauerlich, wenn der Wettbewerb schlauer war und etwas angemeldet hat, was man selber eigentlich vorher schon erfunden hatte.

Zweitens : hier möchte ich auf Frage 2. zurückkommen, ich empfehle unbedingt früh zu starten und kleine Schritte zu machen. Eine erste Patentanmeldung zu schreiben, im Prozess zu lernen, und die nächste dann noch besser zu schreiben, statt auf die eine perfekte, weltbewegende Patentanmeldung zu hoffen. Viele wichtige Erfindungen sind inkrementelle Verbesserungen.

Früh zu starten ist auch wichtig wenn man Partner sucht, zum Beispiel für eine Zusammenarbeit oder Lizenzverhandlungen: auf der Seite großer Unternehmen dauern solche Verhandlungen aufgrund interner Abstimmungsprozesse oft sehr lang. So dass dem Start-up vielleicht irgendwann die Geldmittel ausgehen. Also rechtzeitig das Lizenzpaket schnüren!

Drittens: den Umgang mit IP aus der Sicht von Risiko und Opportunität betrachten. Eigenes IP ist eine Opportunität, die sollte man schnell anmelden wenn sie entsteht, aber genauso schnell wieder fallen lassen, wenn sich diese Technologie nicht bewährt. Nur so kann man die Kosten kontrollieren.

Und auf der Risikoseite sollte man die Risiken durch Schutzrechte Dritter versuchen zu quantifizieren: welche Risiken kann man sich erlauben, und welche Risiken würden einem das Genick brechen. In dieser Reihenfolge arbeitet man die Risiken ab.

Dr. Breitenstein hat in organischer Chemie promoviert und dann direkt die Ausbildung zum Patentanwalt begonnen. Sein Werdegang hat sich dann von Japan über Deutschland in die USA, die Niederlande und Belgien geführt, für drei sehr erfolgreiche Großunternehmen. Als obere Führungskraft hatte er dann auch Gelegenheit, bei der Business School IMD in der Schweiz mehr über wirtschaftliche Zusammenhänge zu lernen. Am meisten Freude hatte er immer an der strategischen Beratung, deshalb hat er sich irgendwann mit diesem Schwerpunkt selbstständig gemacht.