Die deutsche Chemiebranche steht aktuell vor einer Vielzahl an Herausforderungen, die sowohl geopolitische als auch strukturelle Faktoren umfassen: fragile Lieferketten, hohe Energiekosten und regulatorische Anforderungen treffen insbesondere kleinere Unternehmen hart. Gleichzeitig bedrohen Überkapazitäten und Fachkräftemangel die Wettbewerbsfähigkeit.
Im Hot Seat beleuchtet Dr. Hermann Schiegg von Santiago Advisors mit uns diese zentralen Fragen: Welche Maßnahmen sind notwendig, um die Branche zukunftsfähig zu machen? Und wie können Unternehmen eigene Stärken nutzen, um den Wandel zu meistern?
Was sind aktuell die größten Herausforderungen für den Chemiestandort Deutschland?
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die wir regelmäßig sehen: Die angespannte geopolitische Lage mit fragilen Lieferketten, die kostenintensive Umstellung der Energieversorgung bei gleichzeitigen Unsicherheiten im Netzausbau, die selbst auferlegten Standards der grünen Transformation. Parallel dazu belastet ein hoher bürokratischer Aufwand vor allem kleine und mittlere Unternehmen.
Insgesamt zeigt auch die geringe Investitionsbereitschaft aus dem Ausland und der Nettoinvestitionsabfluss, dass wir derzeit nicht in der Lage sind, unseren „Hochlohn- und Wenigarbeitsstandort“ durch andere günstige Rahmenbedingungen zu verteidigen. Branchenintern wird dies durch die weltweit vorhandenen Überkapazitäten verstärkt, da diese den Druck auf die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhöhen. Auch der demografische Wandel und der Fachkräftemangel machen sich in der Chemie bemerkbar und erfordern Anpassungsmaßnahmen.
Trotzdem möchte ich kein hoffnungsloses Bild zeichnen. Wer die Transformation aktiv mitgestaltet, kann dadurch Wettbewerbsvorteile erhalten, neue erzielen und damit langfristig profitieren.
Welche dieser Herausforderungen können wir selbst lösen?
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Herausforderungen muss sich jedes Chemieunternehmen auf die eigenen Stärken besinnen. Darauf aufbauend kann ein strategisches Zielbild entwickelt und umgesetzt werden – was im Detail sehr unterschiedlich aussehen kann.
Es kann beispielsweise bedeuten, noch fokussierter auf Innovation und Spezialitäten zu setzen. Oder eine tiefere Integration in die Wertschöpfungsketten attraktiver Kundenbranchen anzustreben. Es kann bedeuten, sich stärker für Start-up-Kooperationen zu öffnen und sich dafür zu engagieren, dass die Wege zwischen Wissenschaft und Wirtschaft kürzer werden. Ebenso kann es sinnvoll sein, gezielt in profitable Bereiche und Regionen mit nachhaltiger Wachstumsperspektive stärker zu investieren, während weniger erfolgreiche Teile abgebaut oder verkauft werden. Eine Professionalisierung dieser Entscheidungen hilft, die Unternehmensstruktur zukunftsfähiger zu gestalten. Und, so ehrlich muss man sein, für manchen Standort kann es auch bedeuten, dass eine Stilllegung – im Blick auf das Gesamtunternehmen – die beste Option ist.
Was stimmt Sie zuversichtlich, dass dieser Wandel tatsächlich gelingen kann?
Die Erfahrung aus vergangenen Zeiten stimmt mich zuversichtlich. Die deutsche Industrie ist immer wieder gestärkt aus tiefen Krisen hervorgegangen. Zudem nehme ich derzeit in vielen Unternehmen wahr, dass der konstruktive Geist des “Wir packen’s an” zurückgekehrt ist beziehungsweise besonders herausgestellt wird. Bereits heute gibt es zahlreiche Initiativen, die zeigen, dass der Wandel möglich ist. Seien es Investitionen in grüne Technologien oder Kooperationen mit der Wissenschaft – der Mut und die Innovationskraft sind da.
Und nicht zuletzt häufen sich in jüngster Zeit auch Äußerungen aus der Politik, die auf eine Unterstützung dieser internen Anstrengungen durch verbesserte äußere Rahmenbedingungen hoffen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass Deutschland als Wirtschaftsnation auf eine starke Industrie nicht verzichten kann. Und ich habe das Gefühl, dass dies zunehmend wieder von der Mehrheit so gesehen wird.
Gemeinsam mit Santiago Advisors diskutieren wir im Rahmen unseres Spotlights am 10.Dezember 2024 die Zukunft des Chemiestandorts Deutschland mit Impulsvorträgen von Dr. Hermann Schiegg und Dr. Bernhard Langhammer (ChemDelta Bavaria) sowie einer moderierten Podiumsdiskussion mit einem Panel an Expertinnen und Experten aus der Bayerischen Chemieindustrie. Teilnehmende sind eingeladen, Fragen zu stellen und mitzudiskutieren.
📅 10.12.2024
🕧 10:30 Uhr – 12:30 Uhr
🚩 Teams Webinar
Die Veranstaltung ist für Sie kostenfrei.
Dr. Hermann Schiegg (53) ist Mitgründer von Santiago Advisors und seit mehr als zwei Jahrzehnten als Top-Management-Berater tätig. Seine Schwerpunkte liegen in der Strategie- und Organisationsentwicklung mit einem Fokus auf Chemiestandorte. Darüber hinaus ist er Experte für Personal- und Innovationsmanagement und berät sowohl mittelständische Unternehmen als auch internationale Industriekonzerne.
Santiago Advisors ist eine Top-Management-Beratung für Strategie und Organisation. Seit ihrer Gründung im Jahr 2008 unterstützt sie mit über 50 Beratern von Deutschland aus das Wachstum globaler Marktführer, insbesondere in der Chemie-, Life-Sciences- und Hightech-Industrie. Santiago Advisors entwickelt ganzheitliche, innovative und tragfähige Konzepte, die durch die Kombination von konzeptioneller Stärke mit datengestützten Methoden sowie einer engen Zusammenarbeit mit ihren Kunden entstehen.