Trotz manch gegenteiliger Aussage aus der Politik steht für viele Unternehmen fest, dass sie sich nicht nur an eine grüne Transformation anpassen, sondern diese aktiv gestalten müssen, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Die Nutzung erneuerbarer Energien für eine CO2-arme Produktion (Dekarbonisierung) ist heute eine von vielen getroffene Entscheidung. Ebenso wichtig ist auch die Defossilisierung, die Umstellung der Rohstoffbasis auf nicht fossile Ressourcen. Christopher vom Berg ist seit 2021, gemeinsam mit Michael Carus, Executive Manager der Renewable Carbon Initiative und erläutert hier, welche Ziele die Renewable Carbon Initiative (RCI) verfolgt.
Am 9. April haben Sie zudem die Möglichkeit, mit ihm in unserem Webinar „CCB-Spotlight – Carbon Management als Schlüssel zur erfolgreichen Transformation in der Chemieindustrie“ über erneuerbaren Kohlenstoff und Carbon Management zu diskutieren.
Christopher, bitte erkläre unseren Leser:innen, was eigentlich unter Renewable Carbon/erneuerbarem Kohlenstoff verstanden wird und warum sich Unternehmen über Renewable Carbon Gedanken machen sollten.
Kohlenstoff ist in den letzten Jahren vor allem als Problem betrachtet worden – zu viel CO2 und zu viele Treibhausgase in der Atmosphäre beschleunigen die Erderwärmung. Allerdings ist Kohlenstoff auch der “Baustein des Lebens“, auf dem Pflanzen und Tiere, viele von uns genutzte Materialien und Produkte und eben auch die gesamte organische Chemie aufgebaut sind. Um den Klimawandel anzupacken, wird in der Regel eine Dekarbonisierung angestrebt – wie z.B. im Energiebereich, wo sie mit Recht und Sinn als Lösung gefordert wird. Die organische Chemie kann allerdings nicht dekarbonisiert werden, da sie vollständig auf der Nutzung von Kohlenstoff basiert. Hierzu gehört auch die Kunststoffindustrie, ohne deren vielseitige Polymere die moderne Welt nicht vorstellbar ist – oder nur mit erheblichem Verzicht und/oder höheren Treibhausgasemissionen. Der fossile Kohlenstoff, der aus dem Boden geholt wird, gelangt früher oder später weitestgehend in die Atmosphäre und erhöht dort die CO2-Konzentration. Nur durch den Verzicht auf fossilen Kohlenstoff kann ein weiterer Anstieg der CO2-Konzentrationen vermieden werden. Was im Energiebereich also die Dekarbonisierung darstellt, ist für die Chemie- und Kunststoffindustrie der Umstieg auf erneuerbaren Kohlenstoff, um nicht weiter neuen fossilen Kohlenstoff aus dem Boden holen zu müssen. Inzwischen wird weitgehend anerkannt, dass es nur drei mögliche Quellen erneuerbaren Kohlenstoffs gibt: Erneuerbarer Kohlenstoff aus dem Recycling von bereits vorhandenen Kunststoffen (mechanisches und chemisches Recycling), erneuerbarer Kohlenstoff aus allen Arten von Biomasse und erneuerbarer Kohlenstoff aus direkter CO2-Nutzung, d. h. aus fossilen Punktquellen (solange es diese gibt) sowie dauerhaft aus biogenen Punktquellen und „Direct-Air-Capture“ aus der Atmosphäre.
In diesem Zusammenhang taucht auch der Begriff „Embedded Carbon“ von Chemikalien und Werkstoffen auf. Was wird darunter verstanden und wie hängt dies mit den Scope 1,2,3 Emissionen zusammen?
Hier muss man erstmal generell unterscheiden: Bei der RCI betrachten wir den „embedded carbon“, und meinen damit den Kohlenstoff, der in Chemikalien, Materialien und Produkten gebunden ist. Als „embedded carbon footprint“ werden aber ebenfalls häufiger, vor allem im Baubereich, die Treibhausgasemissionen bezeichnet, welche spezifisch über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts entstehen, so dass man diesem Produkt also einen CO2-Fussabdruck zuordnen kann. Unabhängig von dieser Unterscheidung führt die Nutzung von erneuerbarem Kohlenstoff aber generell zu einer Defossilisierung, weil dadurch neuer, fossiler Kohlenstoff durch die erneuerbaren Alternativen aus Biomasse, Carbon Capture und Recycling ersetzt und ein Kohlenstoffkreislauf etabliert wird. Und eine solche Defossilisierung hilft dann ganz erheblich dabei, die für einzelne Firmen schwer zu packenden Scope 3-Emissionen zu adressieren. Dazu muss man erst einmal verstehen, dass Scope 1 (Emissionen aus Anlagen, Fahrzeuge und Eigentum der Firma) und Scope 2-Emissionen (zugekaufte Energie) unter direkter Kontrolle der jeweiligen Firma liegen. Scope 3-Emissionen umfassen aber ALLE weiteren Emissionen upstream und downstream, und liegen damit außerhalb der direkten Kontrolle der Firma. Die in der Regel wesentlichsten Kategorien innerhalb von Scope 3 umfassen „purchased goods and services“ und „end-of-life treatment of sold products“, und genau hier führt eine Defossilisierung dazu, dass die aus diesen beiden Kategorien entstehenden Emissionen erheblich reduziert und auf Netto-Null gebracht werden können.
Was ist derzeit die größte Hürde, um schnell Erfolge bei der Defossilisierung zu erzielen?
Um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen: die größte Hürde ist die Konkurrenz mit den fossilen Rohstoffen und Chemikalien. Diese sind preislich in der Regel noch entscheidend günstiger, u. a. wegen steuerlicher Subvention, mangelnder Einpreisung von Externalitätskosten, und weil sie über Jahrzehnte in unseren Systemen etabliert, skaliert und optimiert wurden. Um diese Marktversagen zu überwinden und eine langfristige Veränderung und Transformation zu erreichen, muss über die Schaffung der richtigen politischen Rahmenbedingungen und Anreize gesprochen werden, um sogenannte Leitmärkte zu schaffen. Hier sehen wir immerhin deutliche Signale von der europäischen Kommission, dass diese das Thema inzwischen auf dem Schirm hat und angehen möchte, z.B. durch den Clean Industrial Deal oder das anstehende Update der Bioökonomiestrategie.
Von Lego und Vaude bis zu Covestro und UPM sind zahlreiche bekannte Unternehmen als Teil der Renewable Carbon Initiative bereit, ihren Teil zur Reduktion fossilen Kohlenstoffs beizutragen. Was ist das Ziel der RCI und wie profitieren Unternehmen davon?
Das Ziel der Renewable Carbon Initiative (RCI) ist es, den Übergang von fossilem zu erneuerbarem Kohlenstoff für alle organischen Chemikalien und Materialien zu unterstützen und zu beschleunigen. Die Initiative zielt darauf ab, fossilen Kohlenstoff vollständig durch erneuerbare Kohlenstoffquellen wie Biomasse, CO2 -Nutzung (Carbon Capture and Utilisation, CCU) und Recycling zu ersetzen, um eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft zu schaffen. Die Mitglieder der RCI profitieren von verschiedensten Aspekten. Dazu gehört zum einen der gute Ruf des nova-Instituts und der wissenschaftlich fundierten Ausarbeitung und Beratung rund um erneuerbaren Kohlenstoff, zum anderen aber auch viele kleinere Vorteile wie Rabatte, interner Austausch mit Gleichgesinnten, und das Vorschlagen und Abstimmen über Themen, welche die RCI adressiert. Insbesondere möchte ich folgende Punkte hervorheben:
Einfluss auf Politik: Die Mitglieder sind aktiv eingebunden in der Ausarbeitung von wissenschaftlichen Berichten und Positionen, um den Übergang zu erneuerbarem Kohlenstoff mitzugestalten und sinnvolle politische Entscheidungen anzustoßen.
Erhöhte Sichtbarkeit: Mitgliedsunternehmen werden sichtbar als Vorreiter in der nachhaltigen chemischen Industrie und der gesamten daraus abgeleiteten Wertschöpfungskette wahrgenommen. Das betrifft auch große Endkonsumenten-Sektoren wie Verpackungen, Spielzeuge, Kleidung, Möbel oder Autos.
Netzwerkbildung und Zusammenarbeit: Mitglieder können sich mit anderen Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette vernetzen, um Innovationen voranzutreiben und gemeinsam an Projekten zu arbeiten.
Das Thema Renewable Carbon nimmt auch in Bayern Fahrt auf. Mittlerweile wird an einer landesweiten Strategie für das Carbon-Management gearbeitet und der Chemie-Cluster Bayern kooperiert mit C.A.R.M.E.N. e.V. im Cross-Cluster Projekt „CCU in Bayern“. Welche Empfehlungen hat die RCI für Politik und Wirtschaft in Bayern, um eine kreislauffähige Kohlenstoffwirtschaft zu realisieren?
Zuerst sollte klar definiert werden, welche Themen in der Carbon-Management Strategie adressiert werden sollten. Leider sehen wir häufiger noch, dass diese Strategien vor allem einen Fokus auf CO2 als Treibhausgas haben, und dann im Rahmen dessen die Themen Carbon Capture and Storage und Carbon Capture and Utilisation mitgedacht werden. Das ist z.B. in den Strategien von Deutschland und Österreich der Fall. Wir wünschen uns, dass Carbon Management weitergedacht wird und auch die Rohstoffversorgung derjenigen Sektoren mitberücksichtigt, die langfristig Kohlenstoff als Rohstoff benötigen. Das ist z.B. in den Strategien der EU und NRW sichtbarer hinterlegt. Damit der Freistaat Bayern eine kreislauffähige Kohlenstoffwirtschaft realisieren kann, sollte er auf der einen Seite Bedarf und Nachfrage an (erneuerbarem) Kohlenstoff analysieren: wie viel Kohlenstoff brauchen die bayerischen Unternehmen und Produzenten? Wie kann dieser Bedarf aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden?
Zum anderen sollten gezielte Schritte eingeleitet werden, um eine Defossilisierung der beheimateten Chemie zu ermöglichen. Die bereits erwähnten Leitmärkte können durch gezielte „Market-Pull“-Maßnahmen geschaffen werden, zu denen z.B. Ziele für erneuerbaren Kohlenstoff (oder auch einzelne Ziele für bio-basiert, CCU und recycling) gehören würden. Allerdings ist dies eher eine Stellschraube auf nationaler oder EU-weiter Ebene. Bayern selbst könnte dementsprechend weitere, regional umsetzbare Maßnahmen untersuchen, um den Marktbedarf zu erhöhen, etwa durch gezielte finanzielle Unterstützung zur industriellen Nutzung von erneuerbarem Kohlenstoff oder Vorschriften für die öffentliche Beschaffung. Darüber hinaus ist ein kontinuierlicher Dialog mit den verschiedenen ”Rohstofflieferanten“ – Bauern und Förster für Biomasse, Abfallverwerter für Recycling, Abfallverbrennung und Technologieprovidern für CCU – und Abnehmern entlang der gesamten Wertschöpfungskette empfehlenswert, sowohl um generell das Thema sichtbarer zu machen als auch um die spezifischen Bedürfnisse in Bayern gezielter erfassen und adressieren zu können.
Christopher vom Berg ist einer von zwei Geschäftsführern der Renewable Carbon Initiative (RCI) und arbeitet seit Oktober 2017 für das nova-Institut, wo er sich mit Nachhaltigkeits- und Politikthemen beschäftigte und weiterhin beschäftigt. In seinem Tagesgeschäft konzentriert sich Christopher vom Berg vor allem auf die Leitung und den weiteren Ausbau der RCI, die Entwicklung strategischer Konzepte für die Transformation der chemischen Industrie hin zu erneuerbarem Kohlenstoff und die Untersuchung von Politiken und Vorschriften, die sich auf die verschiedenen Säulen Biomasse, Kohlenstoffabscheidung und Recycling auswirken, die unter dem Oberbegriff erneuerbarer Kohlenstoff zusammengefasst sind.